Im Laufe der Zeit hat sich die Fütterung der Kaninchen stark verändert. Einen bedeutenden Einschnitt stellte die Einführung von industriellen Mischfuttermitteln dar. Diese kamen anfangs noch als Grundfutter ohne Beimischungen, später mit zusätzlichen Vitamin- und Mineralzusätzen auf den Markt. Bis dahin wurden Kaninchen noch überwiegend mit natürlichen Futtermitteln ernährt.

Aus eigener Erfahrung kenne ich die Kaninchenhaltung der Großeltern auf dem Dorf in Ställen. Die Kaninchen wurden für den eigenen Bedarf gehalten und zu besonderen Anlässen geschlachtet. Im Sommer wurden sie auf umzäunte Wiesenstücke gesetzt. Die Ernährung erfolgte von Frühjahr bis Herbst zum größten Teil mit frischem Grün von der Wiese, welches vom eigenen Grundstück oder umliegenden Feldern und Wiesen gesammelt wurde. Ergänzt wurde es mit Resten aus der Küche wie gedämpften (gekochten) Kartoffeln, Kartoffelschalen, dem Grün vom Gemüse, Gemüseresten, Getreide und Kleien von Bauern mit Schweine- oder Großviehhaltung sowie Stroh und Heu. Von Rohfasergehalten und Krankheiten war, zumindest meinen Großeltern, damals so gut wie nichts bekannt. Für sie stellten die Kaninchen einen großen Wert dar - dementsprechend war es gern gesehen, wenn sich auch die Enkel an der Verpflegung der Tiere mit frischem Grün beteiligten.

Im 17. Jahrhundert wurden frei- oder in Gehegen lebende Kaninchen im Winter hauptsächlich mit Heu, Stroh, Weidenzweigen, Hafer, (Weizen)Kleie, Kohl, Möhren und Rüben zugefüttert (van Dam 2007). Ansonsten lebten sie von frischem Grünfutter.

Neben der Haltung der Kaninchen in Großviehställen bildeten sich bereits Mitte des 18. Jahrhunderts erste Formen der Heimtierhaltung heraus, indem vor allem Kinder sich Jungtieren der "Stallhasen", auch "Kuhhasen" genannt, annahmen. Aus diesen entwickelte sich später unter anderem die Deutsche Riesenschecke (Meinhardt 1969, Dorn 1973). Die spätere Zucht der Kaninchen stützte sich weiterhin vorrangig auf Futter von Grünflächen, Küchenresten, selbst angebaute Feldfrüchte, Sauerfutter (Silage) und auch eigenen Futtermischungen aus getrockneten Komponenten.

Anfang des 19. Jahrhunderts unterscheidet Schneider (um 1910) drei Fütterungsarten:
1. Die Trockenfütterung, die nur bei der Mast angewendet wird (mit Hafer, Heu, Brot und gewerblichen Abfällen sowie Wasser)
2. Die gemischte Fütterung (besteht neben den obigen Komponenten weiterhin aus „allerhand Grünzeug, Knollen und Rüben"
3. Die „Grünfütterung".
Der Übergang im Frühjahr von Heu auf Grünfutter sollte nach seiner Darstellung langsam erfolgen: ein Handvoll für den ersten Tag, den folgenden Tag zwei Hände voll, nach acht Tagen das doppelte, wobei entsprechend das Trockenfutter reduziert wird. Das Grünfutter sollte abwechslungsreich aus einer Mischung von süßen Gräsern, Löwenzahn, Spitzwegerich, Weißklee, Gras und Wicken bestehen, da diese den Tieren sehr bekömmlich sind. Ab Mitte Juni könne der Rotklee ohne Schaden verfüttert werden. Für die Herbst- und Winterfütterung wird die Anpflanzung von Kohl, Rüben, Kohlrabi, Runkeln, Möhren und Topinambur empfohlen. Außerdem gibt es dann Gartenabfälle (Laub von Erbsen und Bohnen) sowie Kohlblätter (Wirsing, Butterkohl), weiterhin Un- und Gewürzkräuter wie Petersilie, Sellerie usw. zur Abwechslung. Von Mai bis Oktober besteht das Hauptfutter aber in Wiesengras, Klee und Kolblättern - fast alle Erzeugnisse von Garten und Feld können verwendet werden - vor allem ein Gemisch aus Gerste, Roggen, Hafer, Wicken, Luzerne, Serradella und Kleearten liefert ein sehr nahrhaftes Futter, welches auch selbst angebaut werden kann.

Schwarztrauber (1940) beschrieb die Situation im Ersten Weltkrieg (1914 - 1918), als Scharen von Kindern auf Grünmärkten Jagd auf Abfälle machten und alles erreichbare Grünfutter aus Gärten, von Bahndämmen sowie öffentlichen Anlagen und Wegen sammelte und in Säcke stopften.

Zum Grundfutter fasst Schürch (1949) betriebseigene Futterstoffe, die in größeren Mengen und billig zur Verfügung stehen wie Heu, Grünfutter, Silage, Haushaltabfälle, Hackfrüchte usw. zusammen, die aus wirtschaftlichen und Bedarfsgründen mit Kraftfutter ergänzt werden können. Aus seiner Sicht gestaltet sich die Aufstellung von Rationen im Sommer am einfachsten, weil als wichtigstes Grundfutter Grünfutter zur Verfügung steht, welches den Bedarf des Kaninchens weitgehend deckt. Einzig für säugende Häsinnen und für Jungtiere solle das Grünfutter neben kleinen Mengen Heu auch mit Kraftfutter ergänzt werden. Im Winter werde die Rationsgestaltung schwieriger, da z. B. mittelgutes Wiesenheu nicht einmal der Erhaltungsbedarf ausgewachsener Tiere decken kann. Deshalb müsse es durch betriebseigene Futtermittel wie Silage, Rüben, Kartoffeln und Haushaltsabfällen, außerdem ggf. durch Kraftfutter ergänzt werden.

Beispiel einer Winterration nach Schürch (1949) für ein 3,5kg Tier, mit der es über eine längere Periode bei gleichbleibendem Gewicht erhalten werden kann (Erhaltungsbedarf):
- 50g mittelgutes Heu
- 40g Emd oder sehr gutes Heu
- 100g Futterrüben
- 100g Haushaltsabfälle
- 30g Hafer

1 Teil mittelgutes Heu ließe sich durch 2 - 3 Teile Grünfuttersilage, mit Kleie vermischt, ersetzen. Die Grundration bestand also aus relativ energiereichem und natürlichem Futter - ergänzt durch Raufutter wie Heu.

Mangold (1950) gibt die tägliche Verzehrmenge des Heus je Kaninchen und Tag, je nach Jahreszeit und je nach dem übrigen Futter mit 0 - 150g an: der durchschnittliche Verzehr liegt im Sommer bei 10g, im Frühjahr und Herbst bei 50g und im Winter bei 100g. Maximale Mengen von 150g werden aufgenommen, wenn Saft- und Kraftfutter rationiert angeboten werden. Das Grünfutter wird als das naturgemäßeste und in den Sommermonaten als das Hauptfutter bezeichnet. Für die Winterfütterung rücken das Saft- und Raufutter in den Vordergrund. Als "Saftfutter" wird von ihm Löwenzahn, zarteste Grasspitzen, das Gras- und Krautgemisch von Wegesrändern über Kohlblätter und -strünke bis hin zu Rüben und Sauerfutter verstanden - deshalb auch dafür die Bezeichnung "Grundfutter". Die täglich aufgenommenen Saftfuttermengen bei ad-libitum-Fütterung (Futter ständig zur freien Verfügung) können für ein Tier einer kleinen Rasse 300g, mittlerer Rassen 600g und für Tiere großer Rassen 900g betragen.

Brandsch (1968) stellte fest, dass die Kaninchenzucht und -mast auf Grundlage einer Abfallverwertung von Haus- und Gartenabfällen keine intensive Haltungsform sein kann und Fütterungsmethoden der Kriegs- und Nachkriegsjahre der Vergangenheit angehören sollten. An ihre Stelle sollte ein systematischer Garten-Futterbau treten - effektiv ergänzt durch ein Kraftfutter.

Dorn (1973) verweist auf die Schwierigkeit, Ratschläge für die Fütterung zu erteilen, da das Futter noch vorwiegend aus Küchen- und Gartenabfällen bestünde. Unter den Futtermitteln steht für ihn das Grünfutter an erster Stelle, weil auf Grund des hohen Nährstoffgehaltes das Kaninchen in Zuchtruhe seinen Erhaltungsbedarf allein aus diesem zu decken vermag. Als weitere, zusätzliche Futtermittel werden u. a. Raufutter (Heu aus Klee, Leguminosen und Laub), Wurzeln und Knollen (Kartoffeln, Rüben, Topinambur), Getreide (Hafer, Gerste, Weizen, Roggen und Mais) Hülsenfrüchte, Eicheln und Kastanien, ölhaltige Samen (Leinsamen, Sonnenblumenkerne), Kleien, Trockenfutter (gekörntes Pressfutter) und Sauerfutter (Silage) aufgeführt.

Dies sind nur einige Quellen zur Ernährung von domestizierten Kaninchen. In keiner einzigen, auch in anderen Quellen, wird Heu als Hauptfuttermittel für Kaninchen erwähnt.

In den 80er Jahren nahm die Heimtierhaltung in der damaligen DDR in den industriellen Ballungsgebieten zu - ca. 15 Jahre später als in der BRD. Vor allem Zwergkaninchen wurden nun auf Grund ihrer (angenommenen) geringen Bedürfnisse in Wohnungen und auf Balkonen gehalten.

Mit der Entwicklung der Mischfuttermittel bestand die Notwendigkeit, den Nährstoffbedarf (Proteine, Fette, Vitamine, Rohfaser etc.) des Kaninchens genau zu bestimmen, um die Tiere mit industriell hergestelltem Futter optimal zu versorgen. Diese Futtermittel haben den Vorteil, dass der Halter bzw. Züchter sich nicht mehr um das Berechnen von Rationen kümmern musste. Die Zusammensetzung war stets gleich, die Tiere konnten keine Bestandteile selektieren. Außerdem konnte das Futter über Automaten genau dosiert und regelmäßig ohne größeren Aufwand gefüttert werden. Letztlich waren die Pellets auch ein Segen für Betriebswirtschaftler und Logistiker auf Grund der platzsparenden Verpackungen und Transportmöglichkeiten. Das Nachsehen hatten die Kaninchen.

Ursprüngliche Daten für die Ernährung von Kaninchen resultierten aus Versuchen mit verschiedenen Futtermitteln und zusätzlichem Kraftfutter, später konzentrierten sie sich auf pelletierte "Alleinfuttermittel". Diese sollten nun die natürliche Nahrung der Kaninchen möglichst ohne große Verluste ersetzen. Die Richtwerte veränderten sich also im Laufe der Zeit, bis sich eine relativ einheitliche Empfehlung für Pellets herauskristallisierte, die schließlich für jedes Futter übernommen wurde und bis heute gültig ist. Die Empfehlungen für die Menge an Grundstoffen in pelletierten Alleinfuttermitteln, die für die intensive Kaninchenhaltung/-mast postuliert wurden, haben sich mittlerweile für jede Art der Fütterung von Kaninchen etabliert - so auch die 16% Rohfaser, die heute jedes Futter angeblich haben soll.

Auch Heimtierbesitzer füttern Trockenfutter - die Art der Fütterung wurde von den Züchtern übernommen. Es zeigt sich jedoch, dass die Fütterung der Pellets mit zahlreichen Erkrankungen verbunden ist, die man heute hauptsächlich dem Getreide zuschreibt. Die Futtermittelindustrie reagiert entsprechend und bietet mittlerweile als "Highlights" Trockenfutter ohne Getreide an. Um dieser Erkrankungen Herr zu werden, erinnerte man sich der ursprünglichen Funktion des Heus: als Vorbeugung für Darmerkrankungen. Also wurde das Heu immer mehr zum Hauptfutterbestandteil, während das Trockenfutter reduziert wurde. Außerdem meinte man, dass das Getreide und die Melasse in den Pellets die Krankheitsverursacher sind. Also wurde und wird dazu aufgerufen, getreidehaltige Futtermittel und insbesondere Trockenfutter ganz aus der Ernährung der Kaninchen zu streichen. Geblieben sind dem Kaninchen somit noch das Heu und etwas Gemüse - und das Ganze wird von vielen auch noch als "artgerecht" bezeichnet.

Wenn sich Wildkaninchen von Juni bis Oktober (in diesem Zeitraum stehen unterschiedliche Getreidearten zur Verfügung) von Getreide ohne gesundheitliche Schäden ernähren - wie kann es dann für Hauskaninchen schädlich sein? Wenn seit Jahrhunderten Getreide als Futtermittel für Kaninchen eingesetzt wird - wie kann es dann in heutiger Zeit schädlich für sie sein?

Interessant ist, dass sich auch der Tierschutz und Tierärzte nach den Empfehlungen für pelletierte Futtermittel für Mastkaninchen richtet und diese für die Heimtierhaltung empfiehlt. Von "intensiven Haltungsbedingungen", für die diese Empfehlungen eigentlich gelten, kann hier aber nicht die Rede sein. Eigentlich wäre zu erwarten, dass das Hauptaugenmerk auf artgerechtes Futter gerichtet wäre. Stattdessen wird ein ehemaliges Beifutter bzw. ein, zur Vorbeugung von Darmerkrankungen und als Beschäftigung dienendes, Beifutter als Hauptnahrungsmittel sowie Gemüse als Ergänzung propagiert.

Vor allem aus Kreisen des Tierschutzes wird eine Fütterung propagiert, die einfach und ohne großen Aufwand zu bewerkstelligen ist - zum Vorteil des Halters. Die Nachteile liegen beim Tier. So wird auch die Geisteshaltung verbreitet, das Kaninchen relativ einfach zu versorgen sind. 2 qm/Tier, Heu und Gemüse - einfacher kann Tierhaltung nicht sein.

Das Futter wurde vor allem in den letzten Jahren für Heimtiere, die nach solchen Vorgaben leben (müssen), immer nährstoffärmer. Das Wasser in der frischen Nahrung dient nicht nur dem physiologischen Zweck des Durstlöschens, sondern hat auch eine wichtige Funktion für den Mineralienhaushalt - ein großes Problem in der heutigen Zeit mit einer überwiegenden Fütterung von Trockenfuttermitteln (Heu, Pellets).

Quellen:

Brandsch, H.; Die Broiler-Kaninchen-Mast - ein industriemäßiger Produktionszweig; Monatshefte für Veterinärmedizin, Bd. 23, Heft 4, 139-142; Jena; Gustav Fischer Verlag, 1968

Dorn, F. K.; Rassekaninchenzucht: ein Handbuch für Züchter, Zuchtrichter und Studierende; 3., überarb. Aufl.; Melsungen [u.a.]; Verl. Neumann-Neudamm; 1973

Drepper, K.; Ernährung des Kaninchens; Übers. Tierernährung 8 (1980), 185-206; Inst. für Tierernährung und Futtermittelkunde d. Christian-Albrechts-Universität; Kiel

Garcia, J; Carabano, R.; de Blas, J. c.; Effect of fiber source on cell wall digestibility and rate of passage in rabbits; J Anim Sci 1999; 77:898-905

Grobner, M. A.; Robinson, K. L.; Cheeke, P. R. u. Patton, N. M.; Utilization of low and high energy diets by dwarf (Netherland Dwarf), intermediate (Mini Lop, New Zealand White) and giant (Flemish Giant) breeds of rabbits; J. Appl. Rabbit Res. 8, 12 - 18; 1985

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Mangold, E.; Fangauf, R.; Handbuch der Kaninchenfütterung; Neumann Verlag GmbH; Radebeul; 1950

Meinhardt, G.; Die Kuhhasen des vorigen Jahrhunderts; Deutscher Kleintier-Züchter, Ausgabe Kaninchen; 18/1969; S. 18; (Meinhardt 1969)

Mulder, A., Nieuwenkamp, A. E.; van der Palen, J. G.; van Rooijen; G. H.; Beynen, A. C.; Supplementary hay reduces fur chewing in rabbits; Tijdschr Diergeneeskd. 1992 Nov 15; 117(22): 655 - 8; (Article in Dutch)

Schneider, J.; Nutzbringende Kaninchenzucht; Verlag Hachmeister & Thal; Leipzig; um 1910

Schürch, A.; Die theoretischen Grundlagen der Kaninchenfütterung; Schweizerische landwirtschaftliche Monatshefte 1; Verlag Benteli; Bern-Bümpliz; S. 41 - 65; 1949

Schwarztrauber, W.; Die volkswirtschaftliche Bedeutung der deutschen Kaninchenzucht; ; Nürnberg; Hindenburg-Hochsch.; Diss. v. 3. Juli 1940

van Dam, P. J. E. M.; Ein Neubürger in Nordeuropa. Menschliche und natürliche Einflüsse auf die Assimilierung des Kaninchens in den Niederländischen Dünen 1300-1700; In: Beiträge zum Göttinger Umwelthistorischen Kolloquium 2004 - 2006; Herrmann, B. [Hg.]; Universitätsverlag Göttingen; 2007; ISBN 978-3-938616-90-1