Nahrung
Kaninchen zählen zu den Herbivoren (Pflanzenfresser) und unter diesen zu den
Folivoren (Blattfresser). Diese Begriffe stammen aus dem Lateinischen und
bedeuten folgendes: Herba = Kraut Folium = Blatt voro = schlingen Der Begriff
Blatt bezieht sich hier nicht ausschließlich auf das Laub von Bäumen, sondern auch
auf die Blätter von Gräsern und Kräutern. Kaninchen bevorzugen von grünen
Landpflanzen die blättrigen Bestandteile und von diesen wiederum die Blattspitzen.
Nach Abgarowicz, 1949 ist das Kaninchen bestrebt, ungeachtet des Ballastgehaltes
im Futter den Verzehr an verdaulichen Nährstoffen auf einer bestimmten,
konstanten Höhe zu halten - bei einer Vergrößerung des Ballastanteils im Futter
steigt somit der Verzehr an Trockensubstanz und Ballast. Daraus folgt, dass die
Sättigung und das damit verbundene Sättigungsgefühl in erster Linie eine Funktion
der Nährstoffsättigung ist. Das Völlegefühl einer mechanischen Sättigung ist
zweitrangig und wird erst durch ein sehr großes Futtervolumen, bedingt durch einen
hohen Ballastgehalt, ausgelöst. Weiterhin wird eine Anpassung des Fressverhaltens
an die jeweilige Nährstoffkonzentration im Futter konstatiert, was u. a. durch Lebas,
1986 bestätigt wurde. Mit natürlichen Futter findet ein steter Transport im
Verdauungssystem durch das hohe Volumen der Nahrung statt, welches wiederum
aus dem hohen Wasseranteil der Pflanzen resultiert.
Die Vegetationsruhe entspricht bei einigen Tierarten der Zeit des Winterschlafes. Im
Winter aufgenommene Pflanzen sind nährstoffärmer, faserreicher und schlechter
verdaulich. Durch den Mangel bedingt, beschränkt sich das Kaninchen in dieser Zeit
auf die Nahrungssuche – Revierkämpfe finden so gut wie nicht statt und es wird
auch kein Nachwuchs gezeugt. Würfe, die spät im Jahr noch aufgezogen werden,
haben die schlechtesten Überlebenschancen, da die Nahrungsgrundlage im
Spätjahr grundsätzlich schlechter ist. Im Winter ernähren sich Kaninchen von
Pflanzenresten, die selbst noch unter Schnee zu finden sind, von Zweigen und
Ästen verschiedener Sträucher, abgestorbenen Pflanzenteilen, Wurzeln und
Knollen. Normalerweise siedeln Kaninchen selten in Höhenlagen über 600 m, da hier
im Winter lange Schnee liegt, das Angebot typischer Fresspflanzen geringer ist und
die Böden meist nicht für den Bau von Erdhöhlen geeignet sind. Je nach
geologischen, botanischen und klimatischen Gegebenheiten gibt es jedoch
Ausnahmen.
Nachfolgend werden einige Darstellungen aus der Literatur aufgeführt, die einen
Überblick über das Nahrungsspektrum des Wildkaninchens unter verschiedenen
Lebensbedingungen liefern sollen.
Lincke, 1943 weist auf eine große Vorliebe der wilden Kaninchen für reifes Getreide
hin. Bei der Möglichkeit einer Auswahl bevorzugen sie Hafer. Es wird beschrieben,
wie sie zur Erntezeit die zusammengestellten Garben (Hocken) erklettern und die
Körner aus den Ähren fressen, wobei sie auch tagsüber unter den Hocken bleiben,
um auf diese bequeme Art abends weiter fressen zu können. Halme werden in
großen Mengen abgebissen, um an die Körner zu gelangen. Auch sonst werden
zum Teil beträchtliche Anstrengungen unternommen, um an die begehrte Nahrung zu
gelangen. Lincke beschreibt sie dabei als "flink und gewandt wie Eichhörnchen".
Ebenso wird der Verzehr von Grassamen beschrieben, die direkt von den Rispen
gefressen oder durch das Abbeißen der Halme erreicht werden. Auf diese Weise
richten sie auf relativ kleinen Kulturflächen zum Teil sehr große Schäden an, die
durch Anlage von "Pässen", also Wechseln bzw. Wegen zu den Nahrungsplätzen,
noch verstärkt werden. Bereits im Frühjahr richten sie Schäden unter den
Saatgutpflanzen an, von denen sie bevorzugt die jungen und zarten Blätter fressen.
Vor allem Klee-, Esparsette-, Serradella- und Lupinepflanzungen werden
heimgesucht. Weiterhin wird der verursachte Schaden an Kulturpflanzen wie
Möhren und Stoppelrüben (auch Weißrübe, Herbstrübe, Wasserrübe oder Steckrübe
genannt) erwähnt. Bei länger anhaltender Dürre werden Kartoffeln ausgegraben -
sowohl junge als auch reife. Gern wird auch junges Kartoffelkraut gefressen.
Schließlich werden noch Vorlieben für verschiedene Gehölze beschrieben, die vor
allem im Winter und Frühjahr durch das so genannte Schälen (abnagen der Rinde)
geschädigt werden. Bis auf Holunder wird keine Baumart verschmäht, beliebt sind in
abnehmender Folge vor allem bei Laubhölzern Akazie, Weißbuche, Esche, Espe,
Roteiche, Rotbuche, Birke, Ahorn, Ulme, Linde, Weide und Eiche. Unter den
Obstbäumen werden in abnehmender Folge Quitte, Mispel, Apfel, Birne und Kirsche.
Nadelgehölze werden nur dort geschädigt, wo es wenig Laubhölzer gibt: dazu
gehören Fichte, Weymouthskiefer, Tanne und Kiefer.
Turček und Stiavnica, 1959 führten aus dreijähriger Beobachtung über 70
verschiedene, von Wildkaninchen gefressene Pflanzenarten nach ihrer Bevorzugung
auf und stellen fest, dass sich unter ihnen etwa 46% Heil- und Gift-, ölhaltige und
bittere Pflanzen befanden. Besonders wurde auf den Weißen Gänsefuß verwiesen,
dessen Öle eine wurmtötende Wirkung haben. „Regelmäßig" und „sehr häufig oder
bevorzugt" befressen wurden Luzerne, Rispenhirse, Gartenbohne, Roggen,
Schafgarbe, Odermennig, Krause Distel, Gewöhnliche Wegwarte, Gewöhnliche
Kratzdistel, Acker-Kratzdistel, Gewöhnlicher Feldrittersporn, Weißer Gänsefuß,
Sichelklee, Kermesbeeren, Bibernelle, Windenknöterich, Gabel-Leimkraut,
Schwarzer Nachtschatten, Große Brennnessel, Klee, Weizen, Mais, Beifuss, Echter
Waldmeister, Wiesen-Flockenblume, Acker-Hornkraut, Zypressen-Wolfsmilch,
Knöterich, Wiesen-Margerite, Gemeiner Rainkohl und Vogelmiere. „Als regelmäßig
befressen“ werden Bergahorn, Espe, Feldulme, Esche, Hunds-Rose, Kratzbeere,
Rote Heckenkirsche, Stieleiche, Weißdorn, Klee, Weizen, Mais, Acker-Hornkraut,
Waldmeister, Rainkohl, Vogelmiere, Beifuß, Knöterich, Wiesen-Flockenblume,
Wiesen-Margerite und Zypressen-Wolfsmilch angegeben. Wenig, selten oder nur
örtlich befressen werden Blutroter Hartriegel, Grauerle, Hainbuche, Robinie,
Schwarznuss, Traubeneiche, Mangold, Kohl, Kartoffel, Echter Nelkenwurz, Echtes
Labkraut, Gänse- Fingerkraut, Gemeiner Schwalbwurz, Habichtskraut, Kälberkropf,
Königskerze, Kornrade, Quirlblütiger Salbei, Rundblättrige Glockenblume,
Schmalblättriges Weidenröschen, Schwarznessel, Wald-Reitgras, Wiesen-
Lieschgras (Timothee- bzw. Timothygras) und Wirbeldost. Auch hier wurde über
angerichtete Schäden durch die Kaninchen an Kulturpflanzen geschrieben.
Insbesondere wurde auf Schäden an Luzerne und Bohne hingewiesen, die vor allem
von Jungkaninchen angerichtet wurden, da sie eine für das Wachstum eine
besonders eiweißhaltige Nahrung benötigen. Der im dortigen Habitat fehlende Anteil
an Gräsern wurde durch den höheren Verzehr von Kulturgräsern (Getreide)
wettgemacht. Weiterhin beliebt waren besonders Distelarten auf Grund des hohen
Eiweißgehaltes. Zucker- und Futterrüben sowie Kartoffeln wurden bei Dürre benagt
und sogar ausgegraben. Ebenso wie in (Lincke, 1943) wird das Verschmähen des
Schwarzen Holunders festgestellt, dagegen ein Abfressen von Robiniensprossen im
Frühjahr sowie ein Abschälen der Rinde vom Spindelstrauch im September
konstatiert - beide Arten gelten als giftig.
Als bevorzugte Pflanzen wurden von Boback, 2004 junge Saaten, Klee, Lupine,
Serradella und Esparsette, reifes Getreide, Rüben, Mohrrüben, Raps, Kartoffeln und
junges Kartoffelkraut angegeben, ebenso wie Weinreben, Zierpflanzen und Stauden
aller Art. Weiterhin wurde aus anderen Quellen der Verzehr von Nelken, Bovisten
und selbst Fleisch erwähnt.
Angermann, 1972 stellte fest, dass fünf bis sieben Wildkaninchen so viel wie ein
Schaf verzehren und junge Weide- und Futterpflanzen bevorzugen. Besonders
beliebt sind Süßgräser, Klee und Getreide; ebenso Heidekraut (Calluna vulgaris)
und Seggen (ein Sauergras).
Williams, et al. berichteten über die Nahrung der Kaninchen von Woodwalton Fen,
einem naturnahen Feuchtgebiet in Großbritannien. Dort bevorzugten sie weiches,
grünes, üppiges Gras, während Kräuter nur im Sommer in nennenswerten Mengen
gefressen wurden. Folgende Pflanzen wurden im Kot der Wildkaninchen
nachgewiesen: Schwingel, Reitgras, Gewöhnliches Rispengras, Quecke,
Straußgras, Schilf, Binse, Gewöhnlicher Glatthafer, Wiesen-Rispengras, Honiggras,
Blaustrahlhafer, Ruchgras, Seggen, Wald-Engelwurz, Sumpf-Kratzdistel, Gefleckter
Schierling, Gundermann, Doldiges Habichtskraut, Echtes Johanniskraut,
Spitzwegerich, Knolliger Hahnenfuß und Große Brennnessel.
Wie sich die Nahrung in zwei verschiedenen Lebensräumen von Wildkaninchen in
Europa unterscheidet, die ca. 300 km auseinanderliegen, wurde von Homolka, 1985
und 1988 in Tschechien untersucht. Dabei handelte es sich einmal um ein Gebiet auf
dem Böhmisch-Mährischen Höhenzug in einer Höhe von ca. 430 m an einem
Waldrand mit Wiesen. Das zweite Untersuchungsgebiet befand sich südlich von Brno
im Flachland zwischen Feldern und einer alten Obstwiese. Diese Population war
deutlich größer, die Vegetation nicht so abwechslungsreich und das Klima weniger
hart als auf dem Böhmisch-Mährischen Höhenzug.
In den folgenden Diagrammen ist die Zusammensetzung der Nahrung in den beiden
Gebieten in der Wachstumszeit (Früjhar-Herbst) und im Winter dargestellt, um die
Unterschiede zu verdeutlichen. Die Werte aus den zwei Studien wurden so
zusammengefasst, dass sie vergleichbar sind.
Weitere Erläuterungen zu den Arbeiten von Homolka 1985 und 1988:
Nahrung im Hochland; Wald, Wiese; nach Homolka, 1985:
Poaceae (Gräser) bildeten in diesem Habitat den Hauptanteil, während die übrigen in
geringeren Mengen vertreten waren. Die Kaninchen fraßen somit ein breites
Spektrum an Pflanzenarten, von denen aber nur ein kleiner Teil die Basis bildete. In
Zeiten von Nahrungsmangel konnten allerdings ansonsten wenig gefressene
Komponenten zum Hauptanteil werden. In der Vegetationszeit waren die Gräser mit
ca. 50% in der Nahrung vertreten. In der ersten Winterhälfte sank dieser Anteil auf
18%, um in der zweiten wieder auf 41% anzusteigen. Bevorzugt wurde Italienisches
Raygras (Welsches Weidelgras) gefressen. Als zweitwichtigste Komponenten mit 30-
42% Anteil in der Nahrung wurden in der Vegetationszeit zweikeimblättrige Pflanzen
festgestellt, hier besonders Hülsenfrüchtler und Korbblütler (Gemeine Schafgarbe,
Habichtskräuter, Klee, Färber-Ginster u. a.). Im Winter waren diese Pflanzen nur
noch mit 3% als Nahrungsbestandteil vertreten. Die drittwichtigste Komponente
bildeten Schößlinge verschiedener Gehölze (junge Pflanzen bzw. Pflanzensprosse).
Im Jahresdurchschnitt waren sie zwar nur mit 14% vertreten, in der ersten
Winterhälfte aber mit 45% und in der zweiten mit 29%. Am häufigsten wurden
Himbeere, Schlehdorn und Espe befressen. In der Vegetationszeit betrug dieser
Anteil nur noch 1-6%. Der Anteil von Grasfrüchten und Pflanzensamen betrug
ganzjährig ca. 2%, unterirdische Pflanzenteile im Winter ca. 4%. Im Sommer wurden
zusätzlich Moos und Acker-Schachtelhalm gefressen. Mit einem Anteil in der
Vegetationsperiode von 81-94% bestand der Hauptanteil der Nahrung aus Gräsern
und Kräutern, der im Winter auf 20 43% sank. In dieser Zeit wurde der Teil der
Nahrung durch Schößlinge, Rinde, Nadeln und Holzteile von Pflanzen ersetzt.
Folgende Pflanzen wurden als Nahrung der Wildkaninchen identifiziert: Schafgarbe,
Klee, Färber-Ginster, Erdbeeren, Himbeere, Habichtskraut, Spitzwegerich,
Hornkraut, Echter Nelkenwurz, Hohlzahn, Acker-Witwenblume, Hasen-Klee,
Herbstlöwenzahn, Wilde Möhre, Wiesen-Platterbse, Hirtentäschelkraut, Große
Brennnessel, Kletten, Schachtelhalme, Storchschnäbel, Schlehdorn, Gundermann,
Hainsimsen, Frühlings-Fingerkraut, Laubmoose, Weiße Lichtnelke, Löwenzahn,
Flockenblume, Kletten-Labkraut, Kleiner Sauerampfer, Schwarze Königskerze, Berg-
Steinkraut, Schmalblättriges Weidenröschen, Lichtnelke und Leimkraut.
Nahrung im Flachland; Felder & Obstwiesen; nach Homolka, 1988:
als wichtigste Nahrung über das Jahr wurden grüne Teile von Pflanzen identifiziert
(75%), wobei mehr als die Hälfte aus Gräsern bestand. Holzige Bestandteile von
Pflanzen stellten 8,4%, Saaten und Körner 7,4%, Wurzeln 5,3% und
Baumschößlinge 3,2% der Nahrung dar. Von Juni bis September wurden zusätzlich
die Körner von Weizen, Gerste, Mais sowie der Samen von Gänsefuß und Amarant
gefressen (14-16%). Folgende Pflanzen wurden als Nahrung identifiziert: Luzerne,
Aprikose, Rüben, Schafgarbe, Mohn, Brombeere, Amarant (kraut und Samen),
Flockenblumen, Steinkräuter, verschiedene Doldenblütler, Gänsefüße, Kletten,
Hohlzahn, Gewöhnliches Hirtentäschel, Löwenzahn, verschiedene Kreuzblütler,
Leimkräuter, Erdbeeren, Wegeriche, verschiedene Hülsenfrüchtler, Asterngewächse,
Kratzdisteln, Echter Nelkenwurz, Lichtnelken, Königskerzen, Mais, Günsel, Roter
Hartriegel, Hornkräuter, Storchschnäbel, Bitterkräuter, Fingerkräuter, Veilchen und
Ehrenpreis. Vergleicht man die Zusammensetzung der Nahrung beider Populationen,
so lassen sich grundsätzliche Übereinstimmungen als auch Abweichungen, die sich
durch das Nahrungsangebot im jeweiligen Lebensraum ergaben, feststellen. Vor
allem im Winter wurden im Hochland die nachwachsenden Bäume als Nahrung
genutzt, während in der Kulturlandschaft des Flachlands Wurzeln in dieser Jahreszeit
genutzt wurden. Der Anteil an Samen/Körnern war besonders im Sommer in den
Feldern und Wiesen deutlich höher bzw. wurden die, zur Verfügung stehenden
Getreidesamen verstärkt als Nahrung genutzt.
Bhadresa, 1987 stellt als bevorzugte Fraßpflanzen im Gebiet einer Gras- und
Weidelandschaft von Flatford (Suffolk) in abnehmender Reihenfolge Feld-
Hainsimse, Wolliges Honiggras, Wiesen- Rispengras, Gewöhnliches Hornkraut,
Gewöhnlichen Rot-Schwingel, Spitzwegerich, Rotes Straußgras, Weiß-Klee,
Gundermann, Wiesen-Sauerampfer, Gamander-Ehrenpreis, Gemeine Schafgarbe
und Kriechenden Hahnenfuß fest.
Crawly, 1990 beschreibt den Schaden in einem Weizenfeld, der zu einer Abnahme
des Deckungsgrades von 90 auf 14% führte und das Frischgewicht der Ernte von
1487 g auf 98 g pro 0,25 m² sinken ließ.
Rogers, et al., 1994 geben einen Überblick über Nahrungspflanzen von Kaninchen in
Frankreich und Portugal. In der Camargue, dem salzigen Mündungsgebiet der
Rhône am Mittelmeer, ist die Wahlmöglichkeit in der Nahrung eingeschränkt, so
dass hier 8 Pflanzenarten 86% des gesamten Nahrungsinhaltes ausmachen
können. Von den Gräsern werden nur Trespen häufig gefressen, die Hauptnahrung
im Winter besteht aus Melden, Zistrosen und Queller. Im Frühjahr und Sommer wird
diese auf Grund der größeren Auswahl durch Klee, Schneckenklee und Steinklee
ergänzt, außerdem durch Quecke. Kaninchen, die im Buschland mit wenigen
Kräutern und Gräsern leben, schälen Rinde und fressen Samen sowie Früchte von
Ginster, Zistrosen und Phönizischen Wacholder und Heidekraut. In Nordfrankreich
reflektiert die Nahrung eine andere Landschaft und ein anderes Klima. In dieser
Gegend leben Kaninchen von Frühling bis zum Spätsommer hauptsächlich von
Gräsern, besonders der kultivierten wie Mais und Weizen, und wenden sich im
Winter Brombeersträuchern und der Rinde von Bäumen zu. Demgegenüber fressen
Kaninchen, die in den kleinen bewaldeten Regionen oder bebauten Landschaften
leben, das ganze Jahr vorrangig Gräser. Auch hier herrschen in der Nahrung, wenn
vorhanden, kultivierte Gräser wie Roggen, Weizen, Mais und besonders Gerste vor.
Wenn Gräser nicht mehr vorhanden sind, wird dieser Teil der Nahrung durch
Pflanzen wie Brombeere, Efeu oder Raps ersetzt. In den Heidelandschaften der
Bretagne fressen Kaninchen Honig-, Schwingel- und Straußgräser, aber auch
Stechginster und junge Knospen des Heidekrauts (Calluna und Erica). Stechginster
kann mitunter bis zu 50% der gesamten Nahrung betragen. Auch Moose werden von
den dort lebenden Kaninchen gefressen. In Portugal nutzen Wildkaninchen bei
saisonal oder räumlich abnehmender Qualität von Gräsern und Kräutern auch die
Früchte (Eicheln) von Kork- und Rundblättriger Eiche als Nahrung. Im Doñana-
Nationalpark von Spanien leben Kaninchen im Busch- und Marschland hauptsächlich
von Gräsern, während im Sanddünensystem in der Hauptsache Stängel, Blätter und
Früchte verschiedener Pflanzen die Nahrung bilden.
Duffy, et al., 1996 untersuchten die Nahrungsbestandteile von Kaninchen bei
Connemara, einer Region im Westen Irlands. Dreiviertel der Nahrung bestand aus
Gräsern, der Rest zu fast gleichen Teilen aus Seggen, Binsen, Kräutern und
Moosen. Zu den bevorzugten Gräsern gehörten Rotes Straußgras, Ruchgras,
Schmiele, Honiggras, Kammgras, Pfeifengras, Knaulgras, Ährenrispengras,
Schwingel, Glatthafer, Traubenhafer, Borstgras, Blaues Pfeifengras und Weidelgras.
Im Winter dominierten Draht-Schmiele, Gewöhnliches Ruchgras, Einjähriges
Rispengras und Moose die Nahrung, vor allem, weil diese das ganze Jahr zur
Verfügung stehen.
Wolfe, et al., 1996 stellten 38 verschiedene Pflanzenarten in den Exkrementen von
Kaninchen fest, die in Irland leben. Die häufigsten waren Gräser, welche etwa 85%
der jährlichen Nahrung ausmachen.
In einem Vergleich der Fraßpflanzen von Wildkaninchen und Feldhasen in Ungarn
stellten Katona, et al., 2004 unter anderem die folgenden Fraßpflanzen von
Wildkaninchen fest: Quecke, Sparrige Trespe, Seggen, Schwingel, Steinkräuter,
Gänsefuß, Kanadisches Berufkraut, Sand-Fingerkraut, Österreichischer Thymian,
Berberitze, Gewöhnlicher Liguster, Silber-Pappel, Holunder und Gemeiner
Wacholder. Das Kräuter und Süßgräser zur Nahrung des Kaninchens gehören,
wobei Süßgräser bis zu 2/5 der Nahrung ausmachen können, wird in (Allgöwer,
2005) festgestellt. Ansonsten werden Grünpflanzen aller Art und sämtliche
Kulturpflanzen wie Rüben, Kohlsorten, Getreide und Mais aufgeführt. Im Winter wird
der fehlende Grünpflanzenanteil von etwa 3/5 der Nahrung durch den Verzehr von
Knospen, Triebspitzen, Rinden und Wurzeln ersetzt. Ebenso wird auf die
Bevorzugung von eiweißhaltiger Kost hingewiesen.
Bonino, et al., 2006 berichteten von Kaninchen in der Andenregion Neuquén in
Argentinien. Gräser stellen dort die Hauptbasis des Futters in allen Jahreszeiten dar,
wobei Wiesen-Rispengras und Schwingel die vorherrschenden Arten sind.
Einkeimblättrige Süßgräser waren die zweitwichtigste Gruppe mit Baltischer Binse
und Seggen als Hauptbestandteilen. Kräuter wurden im Frühjahr und Sommer nur
mäßig gefressen, während Sträucher und Bäume nur im Winter wichtig waren.
Nach Faust, 2009 bevorzugen Kaninchen im nördlichen Oberrheingraben Fabaceae
(Hülsenfrüchtler bzw. Leguminosen) und "anderes Kraut", aber der Hauptteil der
Nahrung besteht aus jenen Gramineae (Süßgräsern), die arm an Sklerenchym sind.
Damit wird das Festigungsgewebe von Pflanzen bezeichnet, also im allgemeinen
Sprachgebrauch Rohfaser, die oft lignifiziert bzw. verholzt ist. Pflanzen mit
beißendem bzw. scharfem Geschmack wurden gemieden.
Kumerloeve, 1956 stellte eine Vorliebe der Kaninchen auf der Insel Amrum für
Boviste fest, was wohl auch auf die geringen Flächen mit Süßgräsern
zurückzuführen ist. Strandhafer und ein Großteil der Geest-Vegetation wurde
weitgehend gemieden.
Dass sich Kaninchen als Herbivore durchaus auch von Fleisch bedienen, wird nur
selten erwähnt, überwiegend angezweifelt oder rigoros bestritten. Eigentlich wäre
ein Fleischverzehr durch Kaninchen nichts Ungewöhnliches, denn viele Herbivoren
ernähren sich auch von tierischen Eiweißen ebenso, wie Carnivore (Fleischfresser)
gelegentlich Pflanzen fressen (z. B. Hund, Katze). Gaffrey, 1954 berichtete von
Kaninchen am Stadtkrankenhaus Dresden, die Knochen benagten und Fleisch
fraßen. Im Parkgelände wurde ein Haufen von ca. 75-100 kg ausgekochter Knochen
von Rindern und Schweinen aufgeschüttet, an denen sich noch Knorpel, Sehnen und
größere Fleischreste befanden. Dieser Haufen wurde von Tag zu kleiner, wobei nur
wenige Knochen verstreut wurden. An den Spuren im frisch gefallenen Schnee ließ
sich zweifelsfrei erkennen, dass Wildkaninchen als Urheber des kleiner werdenden
Haufens anzusehen waren.
Petzsch, 1959 gab Auskunft über ein junges Wildkaninchen, das mit einem jungen
Feldhasen im Zoo Halle/S. zusammengebracht wurde und die ohne Streit
zusammen lebten. Die Tiere erhielten ausschließlich pflanzliche Nahrung, die
„vielseitig, gehaltvoll und vitamin- und mineralstoffreich“ war. In einem Versuch
nahmen beide Tiere trotzdem zusätzlich ungekochte Pferderippenstücke mit
anhaftendem Muskelfleisch „gierig“ an und benagten diese selbst im gefrorenen
Zustand.
Tellkamp, 1979 berichtete in einem Beitrag über Kaninchen auf „Memmert“, einer
kleinen ostfriesischen Insel, die vor Juist liegt. 1920 wurden dort Hauskaninchen
ausgesetzt. Trotz der kargen Nahrung wogen die Tiere im Jahr 1974 im Schnitt ca.
2,2 kg, das schwerste 2,5 kg. Im Verhalten ähnelten sie immer noch Hauskaninchen,
das heißt, sie waren kaum scheu und ließen sich nach einer Zeit der Gewöhnung
sogar aus der Hand füttern. Der Versuch, eines dieser Kaninchen durch reichlich
Grünfutter auf ein höheres Gewicht zu bringen, schlug fehl. Das Endgewicht betrug
im Alter von 6 Monaten 2,3 kg. Gefahr für die Kaninchen auf der Insel bestand nur für
Jungtiere in Form von spezialisierten Silbermöwen und Weihen, die gelegentlich vor
den Röhren lauerten.
Im Gegensatz dazu waren die ehemaligen, domestizierten Kaninchen auf der Insel
„Föhr“, die um 1940 aus einer Scheune entwichen, deutlich scheuer und dem
Wildkaninchen ähnlicher. Als Grund wurden die Anwesenheit von Mauswieseln und
Hermelinen, streunenden Katzen und Hunden sowie die Bejagung durch den
Menschen angegeben. Trotzdem wogen die Kaninchen auf dieser Insel, die für
Untersuchungszwecke gefangen wurden, im Schnitt immer noch 1,98 kg, das
schwerste sogar 2,4 kg.
Kaninchen würden Wiese kaufen
© A. Rühle: 2008-2023
© A. Rühle: 2008-2024