Qualzucht & Evidenz

Definitionen

Eine “Population” ist “im biologischen Sinn die Menge der Tiere einer Spezies mit einem gemeinsamen Genpool bzw. die Gesamtheit fortpflanzungsfähiger Individuen, die Träger bestimmter Erbanlagen sind und einen speziellen Phänotyp aufweisen. Die phänotypische Struktur der Population wird vom Genotyp der Tiere und von den herrschenden und sich verändernden Umweltverhältnissen (z. B. Haltung, Ernährung) bestimmt. Merkmale sind z. B. Geschlechterverhältnis, Altersstruktur, Phänotypenhäufigkeit und andere Statistiken (Wiesner & Ribbeck, 2000). Der “Phänotyp” ist das “Erscheinungsbild eines Lebewesens, welches aus dem Zusammenwirken der Erbanlagen (Gene) und der Umweltbedingungen entsteht” (Meyers, 1999). Unter einer “Rasse” versteht man eine “Gruppe von Individuen einer Art, die sich in bestimmten Merkmalen von anderen Individuengruppen unterscheiden und diese Merkmalsvariation vererben. Haustierrassen sind konventionell von Zuchtorganisationen festgelegt und schließen Änderungen durch Selektion ein” (Wiesner & Ribbeck, 2000). Ein “Individuum” ist ein Einzelwesen mit seinen jeweiligen Besonderheiten als Vertreter einer Spezies.

Populationen

Nutztiere (ZDRK)

Nach Informationen des “Zentralverband Deutscher Rasse-Kaninchenzüchter” (ZDRK) existieren in Deutschland ca. 160.000 Rassekaninchenzüchter, die 20 bis 50 Kaninchen pro Rasse innerhalb eines Zuchtjahres aufziehen, wobei es bei durchgezüchteten Rassen auch deutlich weniger Tiere sein können. Man könnte also als vorsichtige Schätzung annehmen, dass in der organisierten Rassekaninchenzucht in Deutschland ein Bestand von etwa  2.400.000 Tieren existiert (160.000 Züchter x 15 Tiere).  Innerhalb der „Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung“ (BLE), die u. a. für das BMEL tätig ist, findet sich die "Zentrale Dokumentation Tiergenetischer Ressourcen in Deutschland“ (TGRDEU). Diese erfasst und dokumentiert Zuchttierbestände seit 1997. Die Daten bilden die Grundlage für die Beurteilung der Entwicklung der tiergenetischen Ressourcen in Deutschland. Der “Fachbeirat Tiergenetische Ressourcen” stellt unter Berücksichtigung dieser Zahlen den Gefährdungsstatus der einheimischen Nutztierrassen fest. Die Einordnung in die verschiedenen Kategorien der Gefährdung wird regelmäßig als Rote Liste der einheimischen Nutztierrassen in Deutschland veröffentlicht und orientiert sich an der Anzahl der Zuchttiere und Züchter. In dieser Liste werden Tiere geführt, die in Deutschland bereits vor 1945 gezüchtet wurden. Sie enthält z. B. auch „stark gefährdete Rassen“ wie Englische Widder (nach deutschem Standard, 2018) und Meißner Widder. Im Jahr 2019 wurden 693.671 Kaninchen verschiedener Rassen gemeldet, was rund 30% der geschätzten Gesamtzahl von 2,4 Mio Rassekaninchen entsprechen würde. Von den gemeldeten Tieren wiederum waren 120.084 Tiere Widderkaninchen (17%). In der folgenden Tabelle sind die Top 10 der gemeldeten Tiere/Rasse aufgeführt (TGRDEU, 2019). Laut Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen über “Missstände bei der Kaninchenhaltung in Deutschland” (Drucksache 18/7959, 05.04.2016) schätzten Experten die Zahl der Rasse- und Hobbykaninchenzüchter auf 400.000, von denen etwa 60.000 Halter ihre Tiere vorwiegend zu Erwerbszwecken halten. Würde man entsprechend wieder ein Mindestzahl von 15 Tieren/Halter zugrunde legen, beträgt die Zahl von Kaninchen allein in der Gruppe der Rasse- und Hobbykaninchenzucht theoretisch 6 Millionen Tiere. Dazu kommen noch 58 Großbetriebe, für die keine Statistiken vorliegen.

Heimtiere

Für den Bestand von Heimtieren in Deutschland existieren keine Zahlen, weil er nicht kontrolliert bzw. erfasst wird. Es existieren auch keine Zahlen für die Zahl der Haushalte, in denen Kaninchen als reine Heimtiere gehalten werden. In England existiert die Organisation “People’s Dispensary for Sick Animals” (PDSA), die aus jährlichen Umfragen die Population von Heimkaninchen in England auf 2% der erwachsenen Personen schätzt. Im aktuellen Report betrug die Stichprobe 580 befragte Kaninchenhalter (PDSA, 2023). Übernimmt man diese 2% für Deutschland mit einer Erwachsenenpopulation von 70.1 Millionen Personen, ergäben das 1.4 Mio Personen mit Kaninchen im Haushalt. Wenn jede mindestens 2 Kaninchen hält, betrüge die Zahl der Heimkaninchen mindestens 2.8 Millionen. Aufgerundet existieren somit in Deutschland theoretisch mindestens 3 Millionen Heimkaninchen. Auf Grund von Schätzungen lässt sich feststellen, dass in Deutschland in den Bereichen der Rasse- und Hobbykaninchenzucht ca. 6 Millionen und im Heimtierbereich ca. 3 Millionen Kaninchen existieren. Zahlen aus Mastbetrieben sowie dem Tierschutz liegen nicht vor. In Summe kann man in Deutschland somit insgesamt von etwa 9 Millionen Kaninchen in verschiedenen Haltungen ausgehen (ohne Mast und Tierschutz).

Krankheiten

Es existiert bisher nur eine Studie aus England, die man als repräsentativ für das Krankheitsaufkommen bei Heimkaninchen bezeichnen könnte. Sie stammt von einem Autorenkollektiv um O’Neill et al., 2020, das klinische Daten von 6.349 Heimkaninchen  auswertete, die in 107 Tierkliniken vorgestellt wurden. Aus der Grundgesamtheit von 6.349 Kaninchen wurde eine zufällige Stichprobe von 2.506 Daten gezogen. In dieser verteilten sich die Rassen wie in dem Diagramm dargestellt (Lop = Widderkaninchen = 32%). Bild 1: Rasseverteilung der Kaninchen in der Studie von O’Neill, 2020 (n=2506) Das rote Tortenstück symbolisiert den Anteil von 32% der Kaninchen mit Hängeohren. Die Verteilung bei Heimkaninchen in Deutschland dürfte ähnlich sein. In dem folgenden Diagramm sind die Diagnosen für 2.506 Kaninchen in der Studie von O’Neill, 2020 dargestellt - unabhängig von einem Phänotyp. Bild 2: Diagnosen für alle Kaninchen in der Stichprobe (n=2.506), aus O’Neill et al., 2020. Das rote Segment stellt die Diagnose “Otitis” mit einem Anteil von 1% (25 Tiere) dar. Die lila Segmente verkörpern Diagnosen, die auch ursächlich für das 1% von Otitis sein können. Während die Prävalenz für Otitis bei 1% lag (rotes Segment), betrug sie für Krankheiten, die ursächlich für oder beteiligt an Otitiden sein können, insgesamt 27% (lila Segmente). Aus diesem Grund sollten bei Erkrankungen im Kopfbereich (Augen, Nase, Zähne, Kiefer) auch immer die Ohren kontrolliert werden. Der Grund für die Übertragung möglicher Keime beruht auf der räumlich geringen Distanz von Nase, Augen und Kiefer zum Mittel-/Innenohr und der Eustachischen Röhre (Tuba auditiva), die den Rachenraum mit dem Innenohr verbindet. Wenn - theoretisch - von den 25 Tieren mit der Diagnose “Otitis” 80% Widder gewesen wären, würde das einer Anzahl von 20 Tieren entsprechen (0,7%) - von 2.506 Tieren aus der Stichprobe. Die geringe Anzahl von Gehörerkrankungen bei Kaninchen wurde indirekt durch Arbeiten von de Matos, 2014 und Reuschel, 2018 bestätigt, die klinische Daten von Kaninchen aus mehreren Jahren für eine statistisch sinnvolle Auswertung sammeln mussten. Die Prävalenz für Ohrerkrankungen bei Heimkaninchen betrug laut einer repräsentativen Studie in England, unabhängig von einem Phänotyp, 1%. Für Erkrankungen, die ursächlich für Ohrerkrankungen sein können oder an diesen beteiligt sind, lag die Prävalenz dagegen bei 27%. 4. Arts et al., 2023 untersuchten in einer Studie aus einer Grundgesamtheit von 2.833 Rassekaninchen auf einer Ausstellung eine Stichprobe von 283 Tieren, darunter 218 Widderkaninchen. Aus der Zusammenfassung: “Diese stammten aus Rassekaninchenzuchten aus ganz Deutschland und in wenigen Fällen aus dem angrenzenden Ausland und umfassten alle im ZDRK anerkannte Rassen.  Es hat sich gezeigt, dass die Ohren aller Kaninchen in der Stichprobe frei von Ohrmilben waren. Insgesamt wurden bei 1,41% (4 Kaninchen) der Kaninchen anatomische Abweichungen des Schädels festgestellt. In der Stichprobe wurden 566 Ohren untersucht. Bei 1,23% (7 Ohren) lag eine geringfügige Anomalie des Gehörgangs vor. Bei 0,18% (1 Ohr) der in der Stichprobe untersuchten Ohren wurde eine Entzündung des Gehörgangs gefunden. Ebenfalls bei 0,18% (1 Ohr) der untersuchten Ohren wurde eine nicht entzündliche Abweichung in der Beschaffenheit des Ohrenschmalzes konstatiert. Abgesehen von der etwas größeren Menge an Ohrenschmalz konnten keine signifikanten Unterschiede bei der Gesundheit der Ohren von Widderkaninchen und Kaninchen mit stehenden Ohren festgestellt werden. Die gefundenen Anomalien sind in ihrer Häufigkeit marginal. Aufgrund ihrer sehr geringen Häufigkeit ist davon auszugehen, dass es sich dabei sehr wahrscheinlich um natürlich vorkommende Erscheinungen und nicht um rassetypische oder zuchtbedingte Auffälligkeiten handelt.” (Arts et al., 2023). In einer repräsentativen Studie betrug die Prävalenz für entzündliche Ohrerkrankungen bei Rassekaninchen 0,18%.  5. In einer Studie zum Thema "Zahnerkrankungen" bei Heimkaninchen von Jackson et al., 2024 wurden die klinischen Daten von insgesamt 161.979 Kaninchen ausgewertet. In Bezug auf Zahnerkrankungen  lag die 1-Jahres-Prävalenz insgesamt bei 15,36%. Die Prävalenz von Zahnerkrankungen bei Schneidezähnen betrug 3,14% und bei Backenzähnen 13,72%. Eine etwas ausführlichere Zusammenfassung der wichtigsten Feststellungen: Die Ergebnisse lieferten keine Beweise für ein erhöhtes Risiko von Zahnerkrankungen bei Rassen mit Hängeohren im Vergleich zu Rassen mit aufrechten Ohren. Dies steht im Gegensatz zu früheren Untersuchungen, in denen der Körperbau von Hängeohren als Risikofaktor beschrieben wurde, wobei die Ergebisse in der Arbeit von Johnson & Burn, 20219 aufgrund der geringen statistischen Aussagekraft und der Verallgemeinerbarkeit einer Studie mit nur 30 Kaninchen aus einer einzigen Auffangstation eingeschränkt waren. In der Studie konnte auch kein höheres Risiko für Zahnerkrankungen bei brachyzephalen Kaninchen im Vergleich zu normozephalen Kaninchen nachgewiesen werden. Dieses Ergebnis steht im Widerspruch zu früheren Ergebnissen von Siriporn & Weerakhun, 2014, die eine 3,19-mal höhere Wahrscheinlichkeit von Zahnerkrankungen bei kurzköpfigen Kaninchen aufzeigten, obwohl diese Arbeit durch eine unvollständige Erläuterung der Definition von Brachyzephalie eingeschränkt war, so dass die Möglichkeit einer falschen Klassifizierung der Schädelform bestand. In der Studie konnte nicht nachgewiesen werden, dass Zwergkaninchen im Vergleich zu Kaninchen der "Standard"-Größe häufiger an Zahnerkrankungen leiden. Dies stützt nicht die Theorie von Crossley, 2003, dass Zwergkaninchenrassen eine genetische Prädisposition für erworbene Zahnerkrankungen haben. Bei kastrierten Kaninchen war die Wahrscheinlichkeit einer Zahnerkrankung 1,38-mal so hoch als bei intakten Kaninchen, ähnlich wie bei Hunden. Darüber hinaus war die Wahrscheinlichkeit einer Zahnerkrankung bei männlichen Kaninchen in der aktuellen Studie 1,23mal höher als bei weiblichen Kaninchen, was frühere Belege für eine starke Veranlagung von männlichen Kaninchen für Zahnerkrankungen bei Kaninchen bestätigt. Möglicherweise haben haltungsbedingte Faktoren, die in der aktuellen Studie nicht bewertet werden konnten, aber möglicherweise über alle Rassen hinweg konstant sind, einen weitaus größeren Einfluss auf das Risiko von Zahnerkrankungen als rassespezifische Körperbaueigenschaften. In der bisherigen Literatur wurde hervorgehoben, dass Ernährung und Unterbringung eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung von Zahnerkrankungen spielen, weil eine unterschiedliche Abrasivität des Futters und unterschiedliche Kalzium- und Vitamin-D-Konzentrationen die Bildung der wachsenden Zähne beeinflussen.  Die Ergebnisse belegen keine höhere Wahrscheinlichkeit von Zahnerkrankungen bei hängeohrigen oder brachycephalen Kaninchen im Vergleich zu ihren aufrechtohrigen oder normocephalen Artgenossen, was die Möglichkeit aufkommen lässt, dass allgegenwärtige Konformitäts- und Haltungsänderungen, die mit dem Dasein als Hauskaninchen an sich verbunden sind, den größten Risikoeffekt für Zahnerkrankungen bei Kaninchen haben. Wenn es spezifische genetische Prädispositionen für Zahnerkrankungen bei Kaninchen gibt, so sind diese wahrscheinlich komplexer Natur. Diese Erkenntnisse können Tierärzten dabei helfen, betroffene Kaninchen früher zu erkennen und eine frühere Behandlung einzuleiten, um Schmerzen und Leiden zu verringern.

Zusammenfassung - Populationen und Krankheiten

Auf Grund von Schätzungen existieren in Deutschland in den Bereichen der Rasse- und Hobbykaninchenzucht ca. 6 Millionen und im Heimtierbereich ca. 3 Millionen Kaninchen. Zahlen aus Mastbetrieben sowie dem Tierschutz liegen nicht vor. In Summe kann man in Deutschland somit insgesamt von etwa 9 Millionen Kaninchen in verschiedenen Haltungen ausgehen (ohne Mast und Tierschutz). Die Prävalenz für Ohrerkrankungen bei Heimkaninchen betrug laut einer repräsentativen Studie in England, unabhängig von einem Phänotyp, 1%. Für Erkrankungen, die ursächlich für Ohrerkrankungen oder an diesen beteiligt sein können, lag die Prävalenz dagegen bei 27%. Die Prävalenz für Ohrerkrankungen bei Rassekaninchen betrug laut einer repräsentativen Studie in Deutschland, unabhängig von einem Phänotyp, 0,2%. Zahnerkrankungen von Heimkaninchen hängen nicht von der Kopf- und Ohrform der Tiere ab.

Hören

Gräusche erreichen als Schall das Ohr, der über den Gehörgang zum Trommelfell gelangt, welches den Gehörgang verschließt. Als Trägermedium für den Schall dient die Luft. Der Hörschall bringt das Trommelfell zum Schwingen. Es steht mit dem Hammer in Verbindung, der die Schwingungen aufnimmt und an den Amboss und Steigbügel weitergibt. Diese drei Gehörknöchelchen bilden eine Kette und verstärken das Hörsignal. Der Steigbügel grenzt an das Innenohr, das aus der Hörschnecke und Gleichgewichtsorgan besteht. Die Energie der Schallwellen versetzt die Flüssigkeit in der Schnecke in wellenartige Bewegungen, deren Impulse die Haarsinneszellen erreichen. Diese wandeln die Bewegungsenergie des Schalles in elektrische Nervenimpulse um, welche vom Hörnerv an das Gehirn weitergeleitet werden. Bild 3: Aufbau des Inneren des Ohres bei Kaninchen Schwerhörigkeit entsteht u. a. durch eine geminderte Weiterleitung des Schalls wie z. B. durch eine übermäßige Ansammlung von Cerumen (Ohrenschmalz) im Ohrkanal/Gehörgang oder ein lädiertes Trommelfell. Bei vollständiger Füllung des Ohrkanals mit Cerumen oder einem Riß im Trommelfell kann es zur Taubheit kommen. Es existieren noch weitere Gründe für verminderte Hörleistungen wie z. B. das Alter, Krankheiten, Dauerlärm, Medikamente, Bakterienbefall etc. Entstünde durch eine Verlegung des Ohrkanals (”Knick”) ein Luftabschluss hin zum Trommelfell, würde das die Hörleistung stark beeinträchtigen, wenn nicht sogar eine völlige Taubheit auch bei gesunden Tieren hervorrufen, weil der Schall nicht mehr über die Luft zum Trommelfell geleitet werden kann. Zudem würde sich das Mikrobiom im Ohr ändern. Claaßen ermittelte 2004 das Hörvermögen von Kaninchen. Den insgesamt 24 Widderkaninchen standen 70 Stehohr-Kaninchen gegenüber. 19 gesunde Widder wurden mit 55 gesunden Stehohr-Kaninchen verglichen und 5 kranke Widder- mit 15 kranken Stehohr- Kaninchen (jeweils etwa Faktor 3). Das Alter der Tiere wurde nicht angegeben. Eine seriöse Auswertung ist auf Grund der großen Unterschiede in den kleinen Tiergruppen nicht möglich, allerdings wurde deutlich, dass in jeder untersuchten Gruppe (Stehohr- vs. Widderkaninchen) Tiere von Taubheit betroffen waren (Hörschwelle 110 Dezibel) - auch gesunde Stehohrkaninchen. Keines der 5 erkrankten Widderkaninchen konnte sehr gut hören (Hörschwelle -5 Dezibel), was im Vergleich zu 20 erkrankten Stehohrkaninchen aber nicht aussagekräftig ist. Auf keinen Fall sind aber die Ergebnisse von Claaßen, 2004 auf Grund der Methodik (Tierzahl und -auswahl) repräsentativ für einen Vergleich des Hörvermögens von Stehohr- als auch Widderkaninchen, da weder das Alter noch eventuelle Begleiterkrankungen den Tieren zugeordnet wurden. Bild 4: Boxplot zum Vergleich des Hörvermögens von gesunden und kranken Stehohr- und Widderkaninchen, nach Daten aus Claaßen, 2004

Detektion von Ohrerkrankungen

Ohrerkrankungen bei Kaninchen lassen sich durch verschiedene Anzeichen am Tier erkennen. Beispielhaft wurden von Richardson et al., 2019 folgende aufgeführt: Kopfschütteln, Kratzen am Ohr, tastbare Schwellungen an der Ohrbasis, mit bloßem Auge sichtbares Material im äußeren Gehörgang, Geruch aus dem Ohr, veränderte Ohrposition, Cerumen (Ohrenschmalz) im äußeren Gehörgang, Kontraktur des Gesichts (Gesichtslähmung), Gleichgewichtsstörungen, Kopfneigung, wahrgenommene Taubheit. Johnson & Burn, 2019 stellten in ihrer Studie fest, dass Kaninchen mit Ohrerkrankungen Schmerzreaktion bei der Untersuchung der Ohren zeigten. Die Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo, 2018) veröffentlichte auf Youtube ein Video, welches die Untersuchung des Ohrkanals eines „Stehohr“- im Vergleich zu einem „Widderkaninchen“ zeigt, in dem das Trommelfell des Widderkaninchen einsehbar war. Mit bildgebenden Verfahren wie Computertomographie (CT) oder Röntgen kann man das Ausmaß einer Erkrankung oder von Veränderungen darstellen, für eine Diagnose allein sind sie nach de Matos, 2014  aber ungeeignet. Richardson et al., 2019 sahen eine Klassifizierung von “Otitis media” ausschließlich mittels CT als Einschränkung der Aussagekraft einer Diagnose. Veränderungen im äußeren wie auch inneren Gehörgang müssen nicht zwingend pathologisch, also “krankmachend” sein. Von de Matos, 2014 wurde die Bedeutung von subklinischen CT-Veränderungen des Mittelohres bei Kaninchen als nach wie vor unbekannt beurteilt. In der Untersuchung blieben 13 von 17 Kaninchen mit CT-Veränderungen des Mittelohres auch später subklinisch und der Grund für die Vorstellung, die Ohrform oder das Vorhandensein von CT-Veränderungen korrelierten nicht mit dem Fortschreiten der subklinischen Ohrerkrankung. Der Zeitraum für die Nachverfolgung betrug 2 Monate bis 5 Jahre. Daraus folgt, dass tierärztliche Behandlungsentscheidungen auf Grund einer CT oder eines Röntgenbildes gut abgewogen werden müssen - ebenso prophylaktische Behandlungsmethoden wie die Reinigung der Ohren mit diversen Mitteln. Damit kann auch die gesunde Mikroflora im Ohr im Fall einer nicht entzündlichen Erkrankung gestört werden, und zwar unabhängig von einer Ohrform. Arts et al., 2023 stellten in einer Studie an Rassekaninchen fest, dass der, eigentlich runde, Gehörgang bei der Untersuchung der Ohren von Widderkaninchen durch das Anheben des Außenohres verengt wird. Weiterhin heißt es: “Die Untersuchung hat gezeigt, dass bei Rassekaninchen generell keine Störungen beim Abfluss des Ohrenschmalzes vorliegen. Um den Abfluss nicht zu stören, sollte eine Reinigung der Ohren nicht zur direkten oder indirekten mechanischen Einwirkung in Form von Ohrstöpseln oder Ohrstäbchen führen. Diese würden das Ohrenschmalz in den Gehörgang zurück drücken und diesen unter Umständen verschließen können. Dies hätte Störungen im Abfluss des Ohrenschmalzes zur Folge, was negative Effekte auf das Mikrobiom im Ohr haben und unter Umständen zu einer Otitis führen kann. Um dies zu vermeiden, wurde der ZDRK-Rassestandard, der vorgibt, welche Körperteile vor einer Ausstellung gesäubert werden müssen, im Nachgang dieser Studie bereits dahingehend angepasst, dass in Zukunft beim Schaufertigmachen auf eine Reinigung der Ohrmuschel (nicht Gehörgang) verzichtet wird. Auch andere EE-Verbände könnten aufgrund der Ergebnisse der Studie ihre eigenen nationalen Rassestandards entsprechend anpassen, denn bei Rassekaninchen innerhalb Europas gibt es keine Unterschiede.”. Bei allen Erkrankungen im Kopfbereich des Kaninchens sollten möglichst die Augen, Nase, Zähne und Ohren immer gemeinsam untersucht werden. Gestützt werden können Diagnosen durch bakterielle Nachweise, um z. B. die mögliche Herkunft von Erkrankungen abzuklären.

Alter von Kaninchen mit Ohrerkrankungen

In verschiedenen Fallserien war das Alter erkrankter Tiere im Mittel sehr hoch und lag zum Teil über dem mittleren Sterbealter der Kaninchen in der gleichen Studie. Dieser Fakt betrifft alle Kaninchen, unabhängig von einem Ohrtyp. Vergleichbare Ergebnisse ergaben sich z. B. aus Arbeiten von de Matos, 2014, Mäkitaipale et al., 2015, Reuschel, 2018 sowie Johnson & Burn, 2019. Beispielhaft betrug in der Studie von O’Neill et al, 2020 das mediane Alter für das 1% von Ohrerkrankungen (25 von 2.506 Tieren) 5,5 Jahre, das mittlere Sterbealter lag bei 4,3 Jahren. Das heißt, dass Alter der vorgestellten Tiere mit dem Krankheitsgrund „Gehör“ war höher als das mittlere Sterbealter in dieser Studie. Mäkitaipale et al., 2015 stellten fest, dass die durchschnittliche Lebenserwartung von Kaninchen in den letzten Jahren gestiegen sei und das es nicht ungewöhnlich wäre, Kaninchen im Alter von über 10 Jahren anzutreffen, insbesondere bei mittelgroßen Rassen. Mittelgroße Kaninchen könnten im Alter von sieben Jahren als geriatrisch angesehen werden, aber Zwerg- und Riesenrassen wiesen eine kürzere Lebenserwartung auf. Geriatrische Erkrankungen können bei diesen Rassen bereits im Alter von vier bis fünf Jahren auftreten. Ein großes Problem in Facharbeiten ist häufig das Fehlen von Informationen über eventuell vorliegende Begleiterkrankungen. Nicht selten sind Ohrentzündungen mit Schnupfen und/oder Abszessen im Kopf-/Ohr-Kieferbereich oder Augenerkrankungen verbunden. Bei älteren Tieren muss zudem geklärt werden, woher sie stammen und wie die Haltung und Ernährung gestaltet war. Diese Informationen fehlen in vielen Fallstudien/-serien. Das hohe Alter bei der Feststellung von Ohrerkrankungen wirft grundsätzlich Fragen des Einflusses der Haltung und Ernährung von Kaninchen auf die Entstehung der Erkrankungen auf. Diese wären dann vor allem in der Heimtierhaltung und im Tierschutz zu stellen. Ein besonders hohes Maß an Ohr- und Gebisserkrankungen wurde z. B. von Johnson & Burn, 2019 in einer Tierheimpopulation konstatiert, wobei berücksichtigt werden muss, dass es wohl häufig ältere und kranke Tiere sind, die dort aufgenommen werden - ein Grund dafür, warum Ergebnisse aus Studien solcher Populationen nicht repräsentativ sein können.

Bakterien und Pilze (Hefen)

In der Dissertation von Reuschel, 2018 wurde als ein Ergebnis für ohrgesunde und ohrkranke Tiere beider Ohrformen in Bezug auf Bakterien festgestellt, dass es keine Unterschiede gibt, weshalb in Auswertungen zur bakteriellen Belastung Stehohr- und Widderkaninchen zusammengefasst wurden: "Die Mikroflora bei gesunden Stehohrkaninchen und gesunden Widderkaninchen wies im χ²-Test und im exakten Test nach Fisher keine signifikanten Unterschiede auf, so dass für weitere Berechnungen diese beiden Gruppen zusammengefasst wurden. [...] Die pathologische Flora bei einer Otitis externa zwischen Stehohr- und Widderkaninchen zeigte im χ²-Test und im exakten Test nach Fisher keine signifikanten Unterschiede. Auch bei einer Otitis media waren keine signifikanten Unterschiede feststellbar. Daher wurden beide Kaninchengruppen zu jeweils einer Gruppe mit Otitis externa und Otitis media zusammengefasst." (Reuschel, 2018; S. 137-138) In der gleichen Arbeit wurde über das Vorkommen von obligat anaeroben gramnegativen Bakterien berichtet und vermutet, dass dieses auf den "Luftabschluss" in den Ohren von Widderkaninchen zurückzuführen seien: "Alle positiven Nachweise bei erkrankten Kaninchen stammten von Widderkaninchen. Dies deutet darauf hin, dass bei Widderkaninchen durch den Verschluss des Gehörgangs aufgrund der Schlappohren ein Luftabschluss entsteht und somit ein obligat anaerobes Wachstum ermöglicht wird." (S. 162) In der Literaturübersicht wurden die beteiligten Anaerobier kurz vorgestellt : "Fusobakterien sind sporenlose obligate Anaerobier. Sie kommen als gerade Stäbchen, aber auch in kokkoider oder pleomorpher Form vor. Ihr natürliches Habitat ist die Schleimhautflora des Wirtes. Beim Tier lösen sie oftmals eitrig-nekrotisierende Entzündungen aus, die häufig auf endogene Infektionen zurückgehen (AMTSBERG u. VERSPOHL 2015). Beim Kaninchen kann Fusobacterium nucleatum häufig aus Abszessen isoliert werden (TYRRELL et al. 2002; MEREDITH 2014)." (aus Reuschel, 2018, S. 28) "Auch die Mitglieder der Gattung Prevotella sind sporenlose obligate Anaerobier. Sie sind meist kurze bis kokkoide Stäbchen. Wie Fusobakterien sind sie Bestandteil der Schleimhautflora und führen daher meist zu endogenen eitrig-nekrotisierenden Entzündungen (AMTSBERG u. VERSPOHL 2015). Prevotella spp. sind beim Kaninchen an Abszessen beteiligt (TYRRELL et al. 2002)." (aus Reuschel, 2018, S. 28) Etwas konkreter ist festzustellen, dass beide Bakterien vor allem in der Mundschleimhaut vorkommen und an Ober- und Unterkieferabszessen sowie allgemein an Abszessen im Kopfbereich beteiligt sind. Das heißt, dass die betroffenen Tiere vermutlich an Zahn- und/oder Kieferabszessen litten und das Vorkommen nichts mit einem “Luftabschluss” zu tun hatte. Diese Bakterien können über die “Eustachische Röhre” vom Nasen-/Rachenraum in das Mittelohr wandern und dort entzündliche Krankheiten auslösen.   In einer Arbeit von Quinton et al., 2014 wurde kein signifikanter Unterschied in Bezug auf Hefen, Bakterien und Entzündungszellen in Ohren von Stehohr- und Widderkaninchen festgestellt. In der Studie von Diaz et al., 2020 wurde ebenfalls kein signifikanter Unterschied in Bezug auf Hefen in Ohren von Stehohr- und Widderkaninchen festgestellt.

Zusammenfassung

In drei unabhängigen Studien wurde festgestellt, dass sich das Mikrobiom in den Ohren sowohl von kranken als auch gesunden Stehohr- und Widderkaninchen nicht unterscheidet.  Das heißt, dass die Ohrform von Kaninchen keinen Einfluss auf des Mikrobiom hat. Der Befund des Vorkommens anaerober Bakterien in Ohren von Widderkaninchen stammt aus nur einer Arbeit und ist wahrscheinlich auf auf Abszesse im Maulbereich dieser Tiere zurückzuführen. Literaturverzeichnis © A. Rühle, 2023
Kaninchen würden Wiese kaufen
© A. Rühle: 2008-2023
© A. Rühle: 2008-2024
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