Teil 2
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Sortierung der Puzzleteile
Um den anschließenden Ausführungen folgen zu können, sollte man sich in
Erinnerung rufen, wie junge Wildkaninchen in der Natur aufwachsen. Geboren werden
sie in einer Erdröhre, die normalerweise abseits des Hauptbaus einer
Kaninchengruppe liegt. Die Temperatur und Luftfeuchtigkeit in dieser, auch „Satzröhre“
genannten Geburtsstätte ist immer relativ gleich, die einzigen Störungen sind die ein-
bis zweimaligen Besuche am Tag durch die Mutter zum Säugen. Die Satzröhre wird
weitgehend „keimfrei“ gehalten, die Mutter uriniert dort nicht und hinterlässt nur
gelegentlich Hartkotbällchen, die von den Jungtieren beknabbert werden. Nach ca. 14
Tagen verlassen sie das Nest und nach 3-4 Wochen den Bau. Nach dem Fressen von
Nestmaterial finden sie hier die natürliche Nahrung, die sie auf Grund der Erfahrung
aus Inhaltsstoffen der Muttermilch bereits „kennen“. Ebenso sind ihnen die Bakterien
der Mutter bekannt, die ihrerseits jene beherbergt, die von den anderen Tieren der
Gruppe stammen. Die Krankheit, die unter Jungtieren von Wildkaninchen die größten
Verluste verursacht, ist die Kokzidiose, welche vorrangig von der
Nahrungsverfügbarkeit und Witterungsfaktoren abhängig ist.
Demgegenüber wachsen Hauskaninchen in der Regel in „Nestboxen“ auf, die im Stall
des Muttertieres untergebracht sind und werden nach der Entwöhnung mit einem
Standardfuttermittel ernährt. In der folgenden Tabelle sind grundsätzliche Unterschiede
im Aufwachsen von Wild- und Hauskaninchen aufgeführt. Bei Letzteren gibt es sicher
Unterschiede zwischen Mast- und Zuchtbedingungen, weshalb sie sehr allgemein
formuliert sind.
Tabelle 2 Vergleich der Bedingungen, unter denen Wild- und Hauskaninchen
aufwachsen
Bild 3: Zusammenhang zwischen Muttertier und Jungkaninchen in Bezug auf die
Entwicklung des Immunsystems und der Darmflora
Fasst man die Informationen der angeführten Fachartikel zusammen, kommt man zu
der Erkenntnis, dass verschiedene Einflüssen existieren, die zu verschiedenen
Darmerkrankungen führen können.
Tabelle 3: Mögliche Einflüsse auf das Entstehen von Darmerkrankungen. In der
Hauptsache wird durch verschiedene Faktoren das Immunsystem geschwächt, was
eine Vermehrung pathogener Keime begünstigt
Kaninchenzüchtern wird diese Zusammenstellung von Einflussfaktoren, die ursächlich
für Darmerkrankungen sein können, vertraut sein. Häufig sind es mehrerer dieser
Faktoren, die eine Erkrankung auslösen. Deshalb wird die Ätiologie solcher
Krankheiten auch „multifaktoriell“ genannt, das heißt, es sind in der Regel mehrere
dieser Faktoren, die zu einem Krankheitsbild führen. In einem lebenden Organismus
kommen mögliche Synergieeffekte hinzu. Das heißt, dass sich z. B. die Wirkung von
zwei Faktoren nicht einfach zu einer Summe addiert, sondern das sich ein Effekt
potenziert. Dann ist in der Regel von „sprunghaft“ die Rede. Viele pathogene Keime
sind z. B. als sogenannte „Passanten“ auch in gesunden Tieren unterwegs. Erst ein
weiterer Faktor führt zu einer sprunghaften Vermehrung pathogener Keime, die zu
einer Erkrankung führt, die das Immunsystem des Wirtes nicht mehr kontrollieren
kann.
Zur Bekämpfung der Krankheiten gibt einerseits den Ansatz, „stallspezifische“
Impfstoffe einzusetzen. Das ist kostenintensiv und dient eigentlich nur der
Eindämmung von Symptomen, die durch pathogene Bakterien hervorgerufen werden.
An der Ursache hat man damit noch nichts geändert. Entsprechend ist der Weg der
Futtermittelindustrie wahrscheinlich eher zielführend, den Futtermitteln als Ersatz für
Antibiotika phytogene Zusatzstoffe zuzumischen, die über eine antibakterielle Wirkung
verfügen. Eine ähnliche Verfahrensweise wurde bereits zur Bekämpfung von
Durchfallerkrankungen mittels phytogener Zusätze untersucht, so z. B. von Krieg et al.,
2005 und Krieg et al., 2007. Zu solchen Untersuchungen muss folgendes angemerkt
werden:
1.
finden sie nur über einen begrenzten Zeitraum statt, das heißt, die Muttertiere
erhielten die neuen Futtermittel erst kurz vor den Versuchen (Konditionierung).
2.
können neue Komponenten im Futter zunächst zu einer verringerten
Futteraufnahme führen,
3.
fehlen als Vergleich Wildkaninchen unter gleichen Umgebungsbedingungen, aber
mit ihrer natürlichen Nahrung.
Als ein Beispiel für die Beeinflussung der Darmgesundheit (und somit auch des
Immunsystems) soll eine Untersuchung von Krieg et al., 2005 dienen. Mit den
Untersuchungen sollte gezeigt werden: „dass phytogene Aromastoffe nicht nur eine
bedeutende Rolle im antibiotikafreien Fütterungs-Management haben, sondern auch
als eine unabhängige Art von Futterzusatz dienen, die für Tier, Mensch und Umwelt
nützlich sind.“. Zu diesem Zweck wurden einer Gruppe mit Muttertieren ab dem 29.
Trächtigkeitstag und ihren Nachkommen nach dem Absetzen am 28. Tag ein Futter
ohne Zusätze verfüttert (Kontrollgruppe). 5 andere Gruppen erhielten nach der
gleichen Vorgehensweise jeweils ein Futter mit bis zu 15 verschiedenen „Aromen“. Als
ein Parameter wurden die Verluste erfasst (siehe Diagramm 1).
Diagramm 1: Verluste nach dem Absetzen (n=40 Tiere/Gruppe); nach Daten aus Krieg
et al., 2005
Die Verringerung der Verluste um bis zu 35% (von 40% auf 5% in der 5. Gruppe) ist
ganz erstaunlich, wenn man bedenkt, dass sie „nur“ durch den Zusatz von phytogenen
(pflanzlichen) Inhaltsstoffen verursacht wurde – also durch Stoffe, über die
Wildkaninchen in ihrer täglichen Nahrung verfügen. Auf ganz ähnliche Weise
verringerte sich auch das Durchfallgeschehen in den Gruppen. Damit soll
exemplarisch gezeigt werden, wie durch die Änderung nur eines Faktors in der
Kaninchenhaltung die Gesundheit der Tiere beeinflusst werden kann. Viele Züchter
wissen natürlich um den Nutzen des Einsatzes verschiedener Kräuter in der
Kaninchenfütterung, der sich noch verstärkt, wenn sie ihnen in natürlicher Weise
angeboten werden (Wassergehalt, Struktur, Kohlenhydrate, Sekundäre Pflanzenstoffe,
Aufnahme- und Kauzeit, Darmperistaltik etc.). Arbeiten wie die von Krieg et al., 2005
bestätigen eigentlich nur das „alte“ Wissen.
In einem weiteren Versuch von Krieg et al., 2007 mit einem „standardisierten“, mit
„Aromen“ angereicherten Futtermittel zeigte sich ein Einfluss auf das Verhältnis der
Fettsäuren und somit den pH-Wert im Blinddarm. Während es in der Kontrollgruppe zu
einem Anteil von Verstopfungen von 27,5% kam, war dies in der Versuchsgruppe „nur“
bei 5% der Tiere der Fall.
Zusammenfassung
Darmerkrankungen verursachen bei Hauskaninchen große Verluste. Die Ursachen
sind in der Regel multifaktoriell bedingt. Zu den bekannten, entzündlichen
Darmerkrankungen kam Ende der 1990er Jahre eine nicht-entzündliche hinzu, die
vorrangig durch schleimige Durchfälle und Verstopfungen des Darmtrakts bei
Beteiligung pathogener Bakterien wie Escherichia coli und Clostridium perfringens
gekennzeichnet sind. Die Keime persistieren in betroffenen Haltungen, das heißt, sie
verbleiben im Bestand. Als Bezeichnung für diese Krankheit, die von der Enterocolitis
abgegrenzt wird, hat man sich auf „Epizootic Rabbit Enteropathy“ (ERE) verständigt.
Eine konkrete Ursache für die Krankheit konnte bisher nicht ermittelt werden, weshalb
auch hier eine multifaktorielle Ätiologie vermutet wird. Symptome der ERE bei
Kaninchen werden schon seit längerer Zeit beschrieben, das erste Auftreten von
seuchenhaften Erkrankungsfällen lag aber in einem Zeitraum von Futterumstellungen,
die durch ein EU-weites Verbot von Antibiotika in Futtermitteln als Leistungs- oder
Wachstumsförderer bedingt waren. Erfahrungen von Kaninchenhaltern wie auch
Untersuchungen von Wissenschaftlern weisen darauf hin, dass die Stärkung des
Immunsystems durch den Einsatz Sekundärer Pflanzenstoffe eine Verbesserung des
Auftretens und Krankheitsgeschehen von Darmerkrankungen erreichen kann.
Daneben spielen Haltungsbedingungen ebenfalls wichtige Rollen zur Gesunderhaltung
von Eltern- wie auch Jungtieren. Dies betrifft, neben der Enterocolitis und ERE auch
Darmerkrankungen wie Dysenterie und EPEC, die in dem Artikel besprochen werden.
Dieser Artikel erschien in geänderter Form in der “Kleintiernews” 66/2021. S. 38-46
Literatur: https://kaninchen-wuerden-wiese-kaufen.de/kleintiernews/0020_Literatur.pdf
Teil 1
Kaninchen würden Wiese kaufen
© A. Rühle: 2008-2022