Harnsteine - Schmerzhaft und gefährlich
Fortsetzung von Teil 1
In Bild 12 sind Gehalte von Ca, P und Mg in verschiedenen Futtermitteln dargestellt.
Mit dem Begriff „Extensivweide“ wird in dem Diagramm eine Grünlandfläche mit
wenig Viehbesatz und ohne Düngung beschrieben, also ohne zusätzlichen
Mineralieneintrag in den Boden. Der Wert für „Gemüse“ wurde aus den Gehalten von
Paprika, Futterrübe, Karotte, Zucchini, Kopfsalat, Knollensellerie, Chicorée, Brokkoli
und Kohlrabi gemittelt. Die Werte für „ID 1.1“ stammen aus der Dissertation von
Burger, 2009 für den Fall, in dem keine Nephrocalcinose konstatiert wurde. Rechts
neben dem Diagramm wird das Verhältnis der Mineralien zueinander mit der Basis
von Ca = 2,0 aufgeführt und der Quotient aus Ca/P.
Bild 12: Mineraliengehalte in g/kg TS in verschiedenen Futtermitteln für Kaninchen
sowie deren Verhältnisse zueinander
Prinzipiell lassen sich folgende Aussagen zu dem Diagramm in Bild 12 treffen:
1.
der Calciumgehalt in Grünpflanzen (Extensivweide) und in Pellets (ID 1.1 aus
Burger, 2009 ohne Verkalkungen und handelsüblichem, kommerziellen Futter)
liegt bei > 10 g/kg Trockensubstanz, während alle Alternativen weniger als die
Hälfte davon enthalten,
2.
der Phosphorgehalt in Grünpflanzen beträgt ca. 2 g/kg TS und ist in allen
anderen Futtermittel um das Doppelte und mehr höher,
3.
der Magnesiumgehalt der aufgeführten Futtermittel ist, außer in Getreide und
Obst, vergleichbar.
Das folgende Bild zeigt beispielhaft die Zusammensetzung der Nahrung von
Wildkaninchen in Mitteleuropa im Winter (Dezember-März) und von Frühling bis
Herbst (April-November). In jedem Fall besteht sie überwiegend aus Gräsern und
Kräutern, die sehr calciumhaltig, aber verhältnismäßig arm an Phosphor sind.
Bild 13: Zusammensetzung der Nahrung von Wildkaninchen in Mitteleuropa, nach
Werte aus Homolka, 1985 und Homolka, 1988
Im Humanbereich hat man erkannt, dass bei Nierensteinen ein Verzicht auf Calcium
deren Entstehung sogar fördern kann. So wird bei Nierensteinen dazu geraten, die
normale, empfohlene Menge von Calcium für Gesunde aufzunehmen – also die
Calciummenge in der Nahrung nicht einzuschränken (Curhan et al., 1997; Hess,
2001). Besonders die Studie von Ritskes-Hoitinga et al., 2004a zeigt eindrucksvoll
auch für Kaninchen, dass selbst mit sehr niedrigen Calciumgehalten im Futter
Verkalkungen in der Niere festgestellt werden können. Es ist offensichtlich: für
Harnsteine ist nicht Calcium ursächlich, sondern andere Faktoren wie z. B. ein hoher
Phosphorgehalt.
Calcitriol
Vitamin D ist sowohl ein Vitamin als auch ein Hormon. Es hat eine Reihe von
physiologischen Wirkungen, die über seine Rolle im Kalziumstoffwechsel
hinausgehen. Aus funktionaler Sicht besteht die Hauptaufgabe von Vitamin D darin,
die Kalzium- und Phosphorabsorption und -ausscheidung zu regulieren und die
Mineralisierung von Knochen und Zähnen sicherzustellen. Empfehlungen für eine
Supplementierung in Futtermitteln liegen zwischen 500-750 IE/kg Futter (z. B. Fischer
und Hoffmann, 1978; NRC 1977). Die übliche Dosierung in Trockenfuttern beträgt
heute ca. 1.000 IE/kg Futter. Der bereits vorhandene Anteil von Vitamin D durch den
Einsatz natürlicher Ausgangsstoffe bleibt dabei aber unberücksichtigt. Das heißt, dass
trotz Deklaration der Zugabe von Vitamin D der wahre Gehalt im Futter unbekannt ist.
In der folgenden Tabelle ist beispielhaft die Zunahme des Vitamin-D-Gehaltes in
verschiedenen Pflanzen dargestellt, deren erster Schnitt in verschiedenen Monaten
des Jahres erfolgte.
Bild 14: Vitamin-D-Gehalte in verschiedenen Pflanzen in IE/kg Trockensubstanz,
jeweils 1. Schnitt zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Jahr
Allgemein bekannt ist auch die Tatsache, dass vor allem sonnengetrocknetes Heu
nicht unerhebliche Mengen an Vitamin D aufweist.
Inhibitoren
Als klassische Hemmer (Inhibitor) für die Harnsteinbildung gelten ein hoher
Flüssigkeitsgehalt, der einer Übersättigung des Urins mit Mineralien entgegenwirkt,
Magnesium auf Grund der komplexbildenden Wirkung (bindet überschüssiges
Calcium, sodass kein Calciumphosphat ausfallen kann) und Citrate. Weiterhin
existieren sogenannte Urinproteine, die das Ausfällen unlöslicher Salze verhindern.
Diese Faktoren sind nur über die Ernährung beeinflussbar.
Indirekt kann Salz in Form von NaCl einen Beitrag zur Verhinderung von Harnsteinen
leisten, indem es die Harnmenge steigert und das spezifische Gewicht des Harns
senkt (Rückert et al., 2016). Insofern ist die Bereitstellung eines Salzlecksteins (nicht
zu verwechseln mit einem „Kalkstein“!) zur freien Verfügung durchaus
überlegenswert. Wird allerdings eine exzessive, also übermäßige Nutzung
festgestellt, sollte darauf verzichtet werden. Trotzdem sollte die Ursache für das
Verhalten gefunden werden (Nährstoffmangel, Langeweile usw.).
Körperliche Aktivität, Fettleibigkeit
Die Übersättigung von Körperflüssigkeiten kann zu Sedimenten, also Ablagerungen
ungelöster Salze in Gefäßen und Organen führen. Durch körperliche Aktivitäten
werden diese immer wieder in Bewegung gebracht, also „aufgewirbelt“, was einer
Steinbildung vorbeugt. Mit abnehmender Aktivität, was vor allem bei kastrierten,
übergewichtigen Tieren oder solchen in Käfig-/Stall-/Wohnungshaltung gegeben sein
kann, nimmt die Gefahr einer Nukleation oder Aggregation von Kristallen zu.
Prophylaxe
Wie eingangs bereits erwähnt, gibt es für die Vermeidung von Harnsteinen
verschiedene Empfehlungen. Die häufigste ist die einer mögliche Meidung
calciumreicher Futtermittel. Für Ewringmann, 2010 zählen z. B. „Kohlrabiblätter,
Kräuter, Broccoli, Luzerneprodukte wie Luzerneheu und ‚Grünrollis‘“ dazu.
Stattdessen sollten vermehrt Futtermittel mit einem hohen Flüssigkeitsgehalt wie
„Salate, Tomate, Gurke“ gefüttert werden. In der folgenden Tabelle (Bild 15) sind die
Ca- und P-Gehalte dieser Futtermittel aufgeführt, außerdem das Verhältnis von Ca:P
(Basis Ca=2,0) sowie der Quotient aus Ca/P. Letzterer sollte aus meiner Sicht nicht
kleiner als 2,5 sein. Für die „Kräuter“ wurde jeweils der Mittelwert aus Daten für
Breitwegerich, Kresse, Löwenzahn und Petersilie gebildet und für Salate der
Mittelwert für Kopfsalat, Romanosalat und Feldsalat.
Bild 15: Ca- und P-Gehalte in Futtermitteln, von denen abgeraten a) oder die
empfohlen werden b). Zum Vergleich als Beispiel die natürliche Nahrung in Form der
„Extensivweide“ ohne Düngung (c)
Übereinstimmend mit Ewringmann, 2010 würde ich auf Luzerneheu als getrocknete,
ergänzende Alternative verzichten, wenn auch Burger, 2009 keine Urolithiasis bei
alleiniger Verfütterung von Luzerne in pelletierter Form feststellen konnte. Der Grund
der Ablehnung liegt aber im fehlenden Wasser, denn das Verhältnis von Ca/P ist, wie
in „Extensivweide“, positiv zu bewerten, weil es deutlich über 2,5 liegt. Gerade bei
den empfohlenen Gemüsesorten ist aber das Gegenteil der Fall: das Ca/P-Verhältnis
ist eher geeignet, Calciumphosphat ausfallen zu lassen. Abgesehen davon, sind
solche Futtermittel (Salate, Gurke, Tomate) für den Zahnabrieb gänzlich ungeeignet
und der Anteil an leicht verdaulichen Kohlenhydraten sehr hoch. Daraus folgen nicht
selten Zahnfehler und Verdauungsstörungen.
Überhaupt bergen Strategien der Vermeidung dessen, was vermeintlich ursächlich für
eine mögliche Erkrankung ist, häufig Risiken. Die Einseitigkeit der Betrachtung führt
dazu, dass andere, wichtige Faktoren unbeachtet bleiben. Als Beispiel sei die
schwefelhaltige, essentielle Aminosäure „Methionin“ angeführt, die auch einen
gewissen Beitrag zur Verhinderung von Ablagerungen in der Niere liefern kann. Sie
säuert u. a. auch den Harn an, weil sie in der Niere zu Sulfaten (SO42-, HSO4-) und
Protonen metabolisiert wird (Hesse, et al., 1997). Paulus wies 2010 in ihrer
Dissertation für eine Konstellation eine Ansäuerung des Harns durch eine Zugabe von
Methionin nach: das Angebot eines Mischfutters mit höherem Proteingehalt und einer
Methionin-Zulage hatte einen leichten Effekt auf den Harn-pH-Wert (Ø pH 8,61).
Dieser unterschied sich signifikant von den Werten, die nach ausschließlicher
Kraftfuttergabe gemessen wurden. In Gemüse und Salaten ist der Gehalt im
Vergleich zu Wiesenpflanzen sehr gering und erreicht auch nicht empfohlene Werte
von ca. 5 g/kg Trockensubstanz für Methionin und Cystin. Wenn ausreichend Cystin
in der Nahrung vorliegt, kann daraus Methionin synthetisiert werden. Das heißt,
neben einem möglichen, positiven Einfluss in Bezug auf die Bildung von
Harnkonkrementen ist bei geringen Methionin- und Cystin-Gehalten außerdem die
Verwertung des gesamten Proteins zweifelhaft (Rühle, 2019).
Bild 16: Gehalte an Methionin und Cystin in g/kg Trockensubstanz in verschiedenen
Futtermitteln, aus Rühle, 2017
Zusammenfassung
In dem Beitrag wurden ausgewählte Faktoren vorgestellt, die einen Einfluss auf die
Entstehung von Harnsteinen haben können. Die wichtigsten sind:
•
das „Lösungsmittel“ (Menge und pH-Wert des Urins),
•
Mineralien (Salze in der Nahrung und deren Verhältnis zueinander),
•
Wassergehalt der Nahrung,
•
Inhibitoren (Hemmstoffe, die das Ausfallen von Salzen verhindern),
•
Promoter (Stoffe, die ein Ausfällen von Salzen begünstigen)
•
Vitamin D (Zugang zu UV-B-Strahlung),
•
bakterielle Entzündungen (vor allem mit Beteiligung von E.-coli),
•
Hyperparathyreoidismus (erhöhte Produktion von Parathormon),
•
Körperliche (Nicht-)Aktivität,
•
Kastration (durch den Wegfall hormoneller Einflüsse),
•
Adipositas (starkes Übergewicht),
•
Medikamente.
Einige Faktoren wurden näher betrachtet und festgestellt, dass ungefähre Gehalte für
Calcium mit 10 g/kg, für Phosphor mit 2 g/kg und Magnesium ebenfalls mit 2 g/kg
Trockensubstanz im Futter offensichtlich geeignet sind, die Entstehung von
Harnsteinen beim Kaninchen zu verhindern und gleichzeitig für einen optimalen
Knochenstoffwechsel sowie für die Neubildung von Zahnsubstanzen zu sorgen. Diese
Gehalte entsprechen einem Verhältnis von Ca:P:Mg=2,0:0,4:0,4. In verschiedenen
Publikationen wird ein Quotient für das Verhältnis von Ca/P angegeben, der in diesem
Fall 5,6 betragen würde. Ein Wert von 2,5 sollte nicht unterschritten werden, um die
Bildung unlöslicher Calciumphosphatverbindungen zu verhindern. Das gleiche gilt für
Magnesium, welches komplexe Verbindungen mit Calcium bildet, die die dessen
Bindungsfähigkeit mit anderen Salzen herabsetzt. Die Empfehlung für eine Vitamin-D-
Zulage von 500 IE/kg Trockensubstanz Futter wird als ausreichend erachtet, wobei
ein Zugang der Tiere zu natürlichem Sonnenlicht eine bessere Form der Versorgung
mit dem Vitamin/Hormon darstellt. Ein Auslauf im Freien kann auch der Trägheit
vorbeugen, die das Entstehen von Harnsteinen begünstigt, vor allem bei kastrierten
Tieren. Eine frische, arttypische Nahrung (Gräser und Kräuter von nicht gedüngten
Grünflächen) sollte auf Grund des Wassergehaltes immer bevorzugt werden, weil sie
im Vergleich zu Alternativen wie Gemüse weitere, wichtige Nährstoffe enthält.
Sogenannte Nager- oder Kalksteine sollten nicht angeboten werden, während ein
reiner Salzleckstein kein Problem darstellen sollte – es sei denn, es wird ein
exzessiver Gebrauch festgestellt. Auf Pflanzen mit einem hohen Oxalsäuregehalt
sollte prinzipiell verzichtet werden. Dazu gehören vor allem alternative Futtermittel wie
Mangold, Spinat oder Portulak. Auf keinen Fall sollten vergleichsweise calciumarme
(Ca < 5g/kg TS) Futtermittel verabreicht werden, weil diese in der Regel mehr Risiken
als Vorteile in sich bergen. Das heißt, bei Erkrankungen im Zusammenhang mit der
Ernährung muss immer darauf geachtet werden, welche Faktoren beteiligt sein
können und ob Alternativen wirklich eine Verbesserung erreichen können. Prinzipiell
gilt, das hohe Phosphor- und/oder Oxalatgehalte auch einen hohen Calciumgehalt
bedürfen, um das Ausfällen unlöslicher Verbindungen zu verhindern.
Literatur:
http://kaninchen-wuerden-wiese-
kaufen.de/kleintiernews/0009_Literatur_Harnsteine.pdf
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Kaninchen würden Wiese kaufen
© A. Rühle: 2008-2023
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